BLOG – Die Hirnschleuder

der theatralen subversion

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11. '12

Wirklichkeit

Welche ist unsere Wirklichkeit?
Die Wirklichkeit ist, sie verträgt unsere Kritik nicht. Sie ist verrammelt hinter dick verglasten Fenstern. Sie ist wasserdicht, lichtdurchlässig und lässt sich viel zu leicht öffnen. Frischer Wind my ass. Das was als frischer Wind bezeichnet wird, sind allenfalls die alten Laken, die bloß noch mal zum Lüften rausgehängt werden. Aber glaubt nicht, dass die Sonne das Vergilbte ausbleicht. Denn es ist verdammt noch mal am Regnen.

Deshalb bleibt die Frage, die wir uns stellen müssen: Warum die alten Laken? Wer sind die überhaupt? Und dann: Was reden wir hier? warum zur Hölle sprechen wir hier schon wieder Kunsträtsel? Warum diese Scheiß-lakenmetapher?
Weil die Wirklichkeit keine Worte mehr hat! Sie ist unaussprechbar geworden und wird noch gemurmelt in unklaren Phrasen von Antikapitalismus, Urban Gardening, und intellektuellem Revisionismus von Marx und Co beim organischen Möhrenkuchen: Schießbudenpulver auf Fließbandherzen! Und am Ende kriegst du noch ein Kuscheltier.
Wir verkuscheln uns nicht mehr! Die Wirklichkeit besteht aus dem Schritt vor die Tür, sie besteht aus dem Brief im Kasten, sie lauert in der Handlung mit der Welt. Wir wissen um das Große, wir kennen das Ganze- wie sollten wir auch nicht? Alles liegt uns zu Füßen, in unendlichen wohl einsehbaren Zeichen. Das Wir, das Jetzt das alles ist offensichtlich. Wir können alles wissen, werden unser eigenes Zitat, kennen die Referenzen- die Quellen richtig nachweisen! Schöne lange, ordnungsgemäß geführte Liste! Summenzeichen, Spalte formatieren und dann ab ins Bett.
Aber diese Zitate sind die Fensterscheiben, die die tatsächliche Wirklichkeit im Puff einsperren. Dort in diesen rot leuchtenden Räumen bleibt sie ein Schimmer aus Informationen, infrarotes Wärmekissen, und sie erstickt unseren Mut! Mit nur einer Information können alle Wahrheiten explodieren. Aber wenn wir uns in die Gegenwart stellen wollen, wenn wir unsere Hirne in neue Gesellschaftsmodelle schieben; in der alten Wühlkiste aus Alternativen fündig werden wollen, dann müssen wir, verdammt noch mal wissen woraus unsere Wirklichkeit überhaupt besteht! Es dürstet uns nach dem nackten Wirklichen, in dessen Dreck wir uns suhlen können, bevor wir uns Marx aus den Ritzen unserer Achseln waschen. Denn das Utopische, das Visionäre, das was der Grund sein kann dafür dass wir tun, was wir tun- das braucht einen Begriff vom Wirklichen, von dem es ausgehen kann. Und sei es drum die „Wirklichkeit unmöglich zu machen“, sei es drum alles zu verneinen, sei es drum alles in den säuberlich getrennten Müll zu sortieren – wir suchen das Wirkliche, das Echte, das analog Bedingbare, wir wollen zum Himmel stinken, wir wollen am ganzen Körper kleben vom Zittern vor der Welt! Wir geben sie uns dreckig!

Deshalb Trommeln und Trompeten, wilde Blumen und tragende Balken für gerichtete Wirklichkeit! An alle, die sich nicht zufrieden geben mit Bildern einer Realität, an alle, deren Mut noch nicht im Rotlicht ertickt ist, an alle, die wissen, dass die alten Laken nichts und zugleich so viel mehr sind als Retroschick-

reißt die Fenster auf!