„Natürlich kann man ein Pferd vor ein Taxi spannen oder ein Taxi vor ein Pferd. In beiden Fällen ist das nicht effektiv. Aber genau das wird meistens gemacht mit politischer Kunst: ein Pferd wird vor ein Auto gespannt. Und dann sind die Leute überrascht, wenn es nicht richtig fährt. Außerdem lebt das Pferd dabei nicht lange.“[1]
Heiner Müller aus dem underground spricht über Pferde und Taxis und eigentlich über politische Kunst. In dem Gespräch zwischen Eva Brenner und Heiner Müller aus dem Jahr 1987 stellt Brenner eingangs die Frage, ob die HAMLETMASCHINE Müllers, die auch in 1989 [exit ghost] eine entscheidende Rolle spielt, speziell für den Osten geschrieben wurde. Und Müller antwortet schlicht: „In solchen Kategorien kann ich nicht denken. [..]“ Was soll das heißen, in solchen Kategorien kann ich nicht denken? Die HAMLETMASCHINE durfte in der DDR nicht aufgeführt werden, Müller bezieht in ihr die Hamletfigur Shakespeares auf die Rolle der Intellektuellen in der DDR:
„In der Einsamkeit der Flughäfen
Atme ich auf
Ich bin
Ein Privilegierter
Mein Ekel
Ist ein Privileg
Beschirmt mit Mauer
Stacheldraht Gefängnis“(HAMLETMASCHINE 4. Akt, Pest in Buda Schlacht um Grönland)
Wenn Müller also in einem politischen System Literatur produziert, die sich nicht nur auf das System im Ganzen bezieht, sondern genauer auf seine eigene Position in diesem, dann befindet er sich doch ganz klar in diesen Kategorien, oder nicht? Die Kategorien, von denen Müller sagt, dass er in ihnen nicht denken kann sind die Kategorien die einen bestimmten Text einer spezifischen Funktion zuordnen. Müller wehrt sich dagegen, die von ihm produzierten Texte als etwas anderes zu begreifen als eine Äußerung seiner Person zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort. Und die HAMLETMASCHINE ist im Osten Deutschlands entstanden, Müller schreibt nicht aus Propaganda-Populismus-Aufklärungs-Gründen. Müller schreibt weil er schreibt. Und das eben im Osten. Heiner Müller tritt für eine differenzierte Betrachtung des Politischen in der Kunst ein.[2] Man müsse sich klar darüber werden, was an der Kunst politisch ist, sagt er und macht deutlich, dass es nicht einfach darum gehen kann ein politisch relevantes Thema aufzugreifen, sondern dass viel wichtiger ist, wie die Thematik behandelt wird. Die Form ist relevant.
Wir sind ein Kollektiv, das sich zusammensetzt aus Vertreterinnen und Vertretern der 3ten Generation, sowohl Ost als auch West und wir erarbeiten in Dresden eine Produktion zu der Frage, wie wir unsere Jetztzeit geschichtlich hätten anders denken können. Was bedeutet das? Die Visionen, die in der Zeit vor der Wende, während des Mauerfalls und kurz danach entwickelt worden sind, und die als „Dritter Weg“ verhandelt worden sind, sind Gegenstand von „1989 [exit ghost]“, unserer aktuellen Produktion. Wir fragen uns: Was wäre gewesen, wenn Westdeutschland die damalige DDR nicht so geschluckt hätte, wie sie das nach 1989 getan hat, sondern es mehr offene Ohren dafür gegeben hätte, was die Bürgerbewegungen an runden Tischen erarbeitet und erdacht haben. Was hätte es für gesellschaftspolitische Alternativen geben können, die ein anderes Leben denkbar gemacht hätten abseits des bedingungslosen Königreichs des Kapitalismus?
Wir machen uns Gedanken um politische und soziale alternative Denkmöglichkeiten. Dann machen wir daraus ein Theaterprodukt, also Kunst. Spannen wir dann ein Pferd vor ein Taxi und sollten jetzt schon wissen, dass es wohl nicht fahren wird, Herr Müller?
Wir spannen kein Pferd vor ein Taxi. Und auch kein Taxi vor ein Pferd. Wir wissen, dass beide ziemlich gut alleine laufen. Aber wir wissen auch, wie gut ein Pferd in rasendem Galopp neben einem Taxi aussieht. Man muss sich nicht entscheiden: Kunst oder Politik, Pferd oder Taxi. Aber da stimmen wir dir zu Heiner: wenn die beiden pädagogisch verknüpft werden und ein Inhalt zur erzieherischen Form verschrumpelt, dann haben wir das Pferd vor dem Taxi. Es geht uns um eine inhaltliche Auseinandersetzung, die ihre zeitgenössische Form genau da findet, wo auch Müller seine gefunden hat. Da wo sie entsteht. Mit den X ped/t itionen entstehen die Formate der theatralen subversion in Dresden.
Also an alle DresdnerInnen: wenn hier demnächst ein Pferd neben einem Taxi her rennt, dann waren wir das.
[1] Heiner Müller, Gesammelte Irrtümer 2, Interviews und Gespräche, aus dem Gespräch mit Eva Brenner Ich weiß nicht, was Avantgarde ist, (1987), Verlag der Autoren, Frankfurt a.M.,1990, S. 97.
[2] vgl. ebenda.