Thomas Schubert schreibt über die Dritte Generation Ostdeutschland und „1989 [exit ghost]“
„Die Erfahrung der Freiheit ist letztlich das ästhetische Korrelat des Politischen wie sie das politische Korrelat des Ästhetischen ist. In ihr kommen das Künstlerische und das Politische zusammen und gewinnen die Weite um einander überhaupt begegnen und etwas sagen zu können.“, schreibt Thomas Schubert in seinem Artikel „Alles nur Theater? Die Dritte Generation Ostdeutschland betritt die Bühne“. Aber was meint er damit? Und was hat das mit der Dritten Generation Ostdeutschland zu tun?
Thomas Schubert hat sich unsere letzte Produktion 1989 [exit ghost] angesehen und sich stark mit der Dritten Generation Ostdeutschland auseinandergesetzt. In seinem Artikel stellt er unter anderem die Frage nach der Berechtigung des unermüdlich angeführten Vergleichs der Initiative Dritte Generation Ostdeutschland mit den ewig revolutionären 68ern:
„Kürzlich rief Hans-Joachim Maaz [den VertreterInnen der Dritten Generation Ostdeutschland] zu: „Ihr könnt die 68er des Ostens sein!“ Er erblickte in ihnen die Vollender der deutschen Einheit, da sie in einer Art „drittem Weg“ die Vorteile und Nachteile ostdeutscher und westdeutscher Sozialisation zu klären und zu leben verstünden. Zudem verlieh Maaz der Hoffnung Ausdruck, hier könne jemand auf neue und womöglich revolutionäre Weise den destruktiven Folgen des Kapitalismus begegnen. Was allerdings auch heißen würde, dass der neue „Dritte Weg“ in gewisser Weise der alte bliebe, jener, von dem 1968 bereits von Paris bis Prag die Rede gewesen ist.“
Und genau diesen Vergleich hält Schubert für eine „unpassende Metapher“, sowohl formal als auch inhaltlich und enttarnt jeden glorifizierenden Vergleich der Dritten Generation Ostdeutschland mit der 68er Bewegung als Selbstbeweihräucherung einer zweiten Generation, die ihren Blick schwärmend auf die Vergangenheit richtet und weniger auf die Dinge die da kommen. Die Dritte Generation Ostdeutschland ist nicht die Wiederauflage eines alten Beststellers, sie ist etwas ganz eigenes:
„Letztlich erweisen sich Symbolbegriffe wie „Revolution“, „1968“ oder „dritter Weg“ als Hilfskonstrukte , etwas noch Unbegriffenes wie die Dritte Generation Ost vor dem eigenen Erfahrungshorizont begreifbar zu machen ohne dabei den Kern der Sache zu treffen.“
Aber warum bleibt die Dritte Generation Ost so etwas „Unbegriffenes“? Lassen sich Worte für sie finden, mit denen die Fragerei einer ganzen Generation ohne den reflexartigen Vergleich mit etwas Vergangenem benannt werden könnte? Thomas Schubert findet den Begriff der „doppelten Geschichtslosigkeit“ für das Problem, das diese Dritte Generation Ost prägt und dessen Thematisierung er in „1989 [exit ghost] findet:
„Nach dem emotionalen Thema des Stückes gefragt, kommt einem zunächst das Wort Heimweh in den Sinn. Damit ist freilich kein Heimweh nach der DDR gemeint, sondern eine allgemeine Sehnsucht nach der konkreten Utopie. Hier liegt nicht nur das Vorrecht der Jungend, sondern auch deren eigentliche Heimat. In der Sehnsucht nach einem utopischen Ort formuliert dieses Stück also eine allgemeine, überzeitliche Generationenerfahrung und versinnbildlicht diese am Beispiel typischer Erfahrungen der Wendekinder. Die dargestellten diffusen Gefühle von Heimweh und Sehnsucht entspringen nicht zuletzt aus einem Zustand der doppelten Geschichtslosigkeit, aus der Erfahrung weder Herr über die eigene Vergangenheit, noch über die Entscheidungen die eigene Zukunft betreffen zu sein.“
Diese Sehnsucht nach einem utopischen Ort, in dem es möglich sein könnte eine gedankliche Alternative zum bestehenden System (Kapitalismus, Neoliberalismus, Postmoderne undundund) mitsamt seinem Verhaltenskodex zu finden, mündet für Schubert in ein anderes Thema, das der Freiheit:
„Neben der Sehnsucht nach dem Utopischen wird darin [dem Stück] noch ein zweites großes Thema verhandelt, von dem die Macher womöglich überrascht sein werden, dass es ihnen als ihr eigenes und zudem noch als ein politisches ausgelegt wird. Wenn die Geschichtslosigkeit eine Form der Unfreiheit ist, dann ist deren Wiederaneignung auch als ein politischer Akt anzusehen. Worum es in dem Stück also nicht zuletzt geht ist die Freiheit in diesem Sinne. Wenn heute von Freiheit die Rede ist, dann wird dies schnell als ein wohlfeiler Appell innerhalb der herrschenden politischen Rhetorik abgetan. Dass Freiheit, wenn sie als Ermächtigung gegenüber den eigenen Belangen gedacht wird, auch die Belange der eigenen Vergangenheit und Zukunft betrifft, wird dabei oft übersehen.“
Und hier kommt jetzt der eingangs zitierte Satz ins Spiel:
„Die Erfahrung der Freiheit ist letztlich das ästhetisches Korrelat des Politischen wie sie das politische Korrelat des Ästhetischen ist. In ihr kommen das Künstlerische und das Politische zusammen und gewinnen die Weite, um einander überhaupt begegnen und etwas sagen zu können. Zwischen den Polen Utopie und Freiheit bewegt sich nicht nur das Stück, zwischen ihnen ist auch das Erfahrungspotential der Dritten Generation Ost aufgespannt. Ob das Gewicht eher auf der einen oder der anderen Seite liegt, entscheidet darüber, ob das Selbstverständnis eher utopisch oder realistisch gelagert ist. Man steht dort auf beiden Seiten zugleich, wenn dies auch in je verschiedener Gewichtung der Fall ist.“
Doch konfrontiert mit diesem Begriff der Freiheit und gleichzeitig mit der Hoffnung auf einen utopischen Ort stellt sich schnell heraus, dass es vielen Leuten, die sich selbst zu jener Dritten Generation zählen oder da hinein gedacht werden, sehr schwer fällt mit diesen Begriffen umzugehen, weil sie die „Erfahrung eines spezifischen Ungenügens“ gemacht haben:
„Dass sich in solchen Fragen ausdrückende Ungenügen an der Geschichte ist eigentlich ein ererbtes Unvermögen mit ihr umzugehen. Zu diesem – für die Dritte Generation Ost – spezifischen Gefühl der Unstimmigkeit, das sich aus der Gegenwart speist und auf die Vergangenheit zielt, tritt allerdings noch ein zweites, unspezifisches. Dieses hat zwar ebenfalls in der Gegenwart seinen Ausgang, zielt aber nicht in die Vergangenheit sondern in die Zukunft. Es kann sich an den Themen Bankenkrise, Eurokrise, Demokratiekrise oder Kapitalismuskrise usw. entzünden und stellt somit keine alleinige oder typische Erfahrung der Dritten Generation Ost mehr dar. Deren Besonderheit ergibt sich erst aus der Verbindung dieser beiden Formen des Ungenügens. Den Blick zugleich in die Vergangenheit wie in die Zukunft richten zu müssen, macht ein wesentliches Merkmal derer aus, die sich unter der Bezeichnung „Dritte Generation Ost“ zusammenfinden und gemeinsam versuchen diese Erfahrung zu artikulieren. Erst aus diesem Zusammenspiel von Vergangenheits- und Zukunftsperspektiven erwächst das Potential für eine mögliche Politisierung dieser Initiative. Mit einem neuen ‘68 hätte dies allerdings nichts zu tun, weder in der Gestalt erneuerter sozialistischer Heilserwartungen noch in der Zuspitzung auf eine Abrechnung mit der Elterngeneration als Mitläufer einer kommunistischen Diktatur.
[…]
Im Gegensatz zu 1968 formiert sich hier keine studentische Elite mit antibürgerlichen Ansprüchen und Reflexen. Was sich zu erkennen gibt, ist vielmehr die Rückkehr eines spezifisch ostdeutschen Bürgertums, welches sich anschickt, das zukünftige Erbe zu besehen und anzutreten. Am Ende werden es auch die Wendekinder, wird es die Dritte Generation Ost sein müssen, die das Erbe der DDR und was davon noch auffindbar ist, als ein deutsches Erbe in die Bundesrepublik mit einbringen muss. Um zu tradieren, muss ausgewählt werden; um auszuwählen, muss kennengelernt werden. Und am Ende zeigt sich vielleicht, dass das Beste was diese DDR zu geben hatte gerade in dieser ihrer letzten Generation zu suchen ist – einer Generation die von der DDR befreit sich nun fragt was eigentlich das Ihrige ist.“
Die Auszüge stammen aus dem Text „Alles nur Theater? Die „Dritte Generation Ost“ betritt die Bühne“ von Thomas Schubert. Wer den ganzen Text ungekürzt und quasi im Director´s Cut lesen möchte, kann eine Email an Thomas schreiben: forsthaus.nordtor@web.de
Der sitzt auf seinem Sessel und wartet schon darauf:
Thomas Schubert Jg. 1970, geb. in Berlin-Mitte
Nach dem Studium der Philosophie und ein paar Reisen links und rechts rum um die Welt verlies er die große Stadt und zog in die Provinz – auf einen Bauernhof bei Potsdam. Dort baut er unter der Woche eine Bibliothek auf, in der sich, ein paar Freunden und seinen Tieren vorliest. An den Wochenenden arbeitet er im Einstein Haus in Caputh und trägt dort zu dem ehemaligen Bewohner und seien Theorien vor. Diese hat er als Nichtphysiker zwar auch nicht verstanden, aber dafür kann er erklären warum das so sein muss und auch gar nicht so schlimm ist. In den Wintermonaten sitzt er am Schreibtisch und verfasst Artikel und Vorträge, mit denen sich behaupten lässt, dass man als freier Autor tätig sei. Davon kann man zwar nicht leben, es schadet aber auch nicht.