BLOG – Die Hirnschleuder

der theatralen subversion

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11. '13

100 Prozent – Ein Gespräch mit Katharina Bill

Katharina Bill spielt bei den Wiederaufnahmen von 1989 [exit ghost] am 29. und 30. November  Foto: Terheyden

Katharina Bill spielt bei den Wiederaufnahmen von „1989 [exit ghost]“
am 29. und 30. November 2013
im Projekttheater Dresden
Foto: Terheyden


Henrike Terheyden: Für die Wiederaufnahmen von „1989 [exit ghost]“ steigst du mitten in eine fertige Produktion als Umbesetzung ein. Wie ist das?

Katharina Bill: Ich habe so etwas noch nie gemacht. Eigentlich ist das ja eine Idee, die aus dem Prinzip Stadttheater kommt, die Idee der Umbesetzung. Ich kann mir das bis jetzt eigentlich gar nicht vorstellen, wenn ich ehrlich bin. Bis jetzt habe ich alles, was ich auf der Bühne gemacht habe, immer von Anfang an selbst mit entwickelt. Aber ich empfinde das als spannende Herausforderung und das ist keine Floskel. Ich finde es spannend einmal nicht dem Wahnsinnsanspruch der Gesamtentwicklung entsprechen zu wollen, sondern auch in ein Thema einzusteigen, das einem vorgesetzt wird und mit Texten umzugehen, die man nicht selber entwickelt hat und nicht von Anfang an mit empfinden konnte. Die Thematik von „1989 [exit ghost]“ ist auch eine, auf die ich erstmal nicht gekommen wäre. Ich habe zwar auch schon einmal überlegt ein Stück zur Wende zu machen, aber aus meiner Perspektive. Das wäre eher die des „bösen Besserwessis“ gewesen. Ich kenne dieses Land DDR nur aus dem Geschichtsunterricht und aus den Erzählungen meiner Eltern und habe auch wenig andere Haltung dazu, merke ich.

HT: Was meinst du mit dem Wort „Besserwessi“? Ist das der Ansatzpunkt, der dich auch an dem Stück interessiert?

KB: Ja, genau. Das interessiert mich so, weil ich das selbst erlebt habe. Ich habe in Brandenburg gelebt und da ist mir das Wort „Besserwessi“ sehr oft begegnet. Es gab viel Argwohn, der mir entgegen kam von einer ländlichen Bevölkerung, von den jetzt 60- jährigen, die jetzt in Brandenburg wohnen und auch schon immer da gelebt haben. Ich kam mit meinem komischen Ökoverständnis als junge Mutter in das Dorf. Diese Reibung und auch die Furcht davor abgestempelt zu werden, das wären meine Anknüpfungspunkte für ein Stück gewesen. Ich finde in „1989 [exit ghost]“ die Verknüpfung mit Heiner Müller und der Hamlet Maschine sehr schlüssig und sie interessiert mich auch, aber das ist ganz fern von mir, das ist mir ganz fremd.
Für mich ist auch die Wende wirklich Geschichte. Ich habe keine gelebten Erfahrungen mit diesem großen Ereignis. Etwas das bei uns zu Hause nie diskutiert wurde, und was ich selbst auch nie gemacht habe, ist zu fragen: Was ist eigentlich Kommunismus? Was ist das Gute daran, was ist das Schlechte daran? Also die Idee Kommunismus ernst zu nehmen und sich zu fragen, was war da für eine Idee dahinter und was sind die sinnvollen Aspekte dieser Idee? Das habe ich in dem Umfeld, in dem ich aufgewachsen bin, nie getan. Das war überhaupt nicht linksorientiert sondern sehr an Leistung und Wohlstand.

HT: Ich finde das Zusammendenken von Kunst-Machen und der Frage „Was habe ich, was werde ich und was leiste ich“ schwierig. Erfolg haben wird mit dem Geld verdienen verknüpft und ich finde es im Kunstkontext sehr schwierig mich selbst dagegen abzusetzen. Die Verknüpfung von Geld und Anerkennung ist zentral. Du sprichst von sinnvollen Aspekten anderer Wertesysteme und da taucht bei mir immer die Frage danach auf, wie man sich wehren kann gegen dieses absolute Primat des Kapitals. Ich kann mir vorstellen, dass das wenn man Familie hat, noch viel problematischer ist, man ganz andere Verantwortung trägt….

KB.: Ja das ist ein Kampf und der finanzielle Druck ist mit Familie auf jeden Fall viel höher. Ich kann als Mutter einfach manche Projekte nicht machen, wenn sie low-budget sind. Aber das Bewusstsein für die eigene Wertigkeit, die sich auch in Geld widerspiegelt ist auch nicht nur schlecht. Das ist auch gut, weil man gezwungen ist den eigenen Wert, der sich auch über Geld definiert, zu sehen. Ich finde, dass Künstler generell viel zu wenig auf ihr Recht pochen auch davon leben zu können. Auf der anderen Seite steht ein extremes Zeitproblem. Das ist das richtige Problem! Ich habe mit Kind einfach nicht die Zeit, die andere haben. Wie schaffe ich es, an andere Orte zum Arbeiten zu fahren- wie jetzt nach Dresden- wie kann ich arbeiten und trotzdem mein Kind sehen? Das ist eigentlich fast unlösbar. Wie man es dreht und wendet, es gibt keine guten Bedingungen im Theaterbereich, egal ob staatlich oder freie Szene, für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Und dann kommt auch noch eine Genderthematik dazu. Ich arbeite viel weniger als der Vater meines Kindes, und ich stelle fest: das ist auch nicht nur bei uns so. Männer bekommen oft die Chefdramaturgenposten und die Frauen reduzieren auf eine halbe Stelle. Die machen nicht die Karrieren die ihre Männer machen. Ich freue mich übrigens aber auch darüber mein Kind aufwachsen zu sehen und mein frühes Muttersein hat auch sein Gutes: Ich weiß, dass ich mit 40 spätestens ein Teenagerkind habe und dann kann ich arbeiten, wenn dann meine Kollegen mit dem Kinderkriegen anfangen. Das heißt ich versuche, mich im Gespräch zu halten und meine Kontakte zu pflegen, gute Sachen zu machen auch weiter zu kommen, vielleicht langsamer zu sein als alle anderen, aber dafür dann auch irgendwann reinklotzen zu dürfen. Ich meine ich kann auch sagen, ich habe einen Hardcorejob als Mutter, aber das will natürlich niemand hören.

HT: Was gäbe es für Strukturänderungen, die dir einfielen damit sich Familie und Kunst besser vereinbaren lassen?

KB: Frauen wie Männer müssen sich gleichermaßen bewusst werden, dass man tatsächlich in einer Partnerschaft sehr streng Hälfte Hälfte denken muss. Es hilft nichts zu sagen: Wer grade das bessere Projekt hat, oder wer mit einem Projekt mehr verdient, darf das machen. Man muss wirklich knallhart sagen: egal wer wie viel Geld nach Hause scheffelt, jeder muss von den Arbeitstagen im Jahr die Hälfte arbeiten und der andere die andere Hälfte. Also zeitlich gesehen, damit jeder und jede die Chance hat Projekte zu machen und sich weiterzubilden. Im Rahmen von Projekten ist man ja auch immer „in der Lehre“. Die berufliche Weiterentwicklung macht man ganz konkret nur, wenn man auf der Bühne steht und Projekte macht. Für mich funktioniert das nicht über Bücher. Und daher glaube ich, das ist eine der wesentlich wichtigen Strukturänderung: Ganz streng mit der Arbeitsteilung zu sein.
Eine andere wichtige Sache ist auch wirklich, dass Leute den Mut haben müssen, Mütter mit Kindern und auch Väter ins Ensemble aufzunehmen. Das ist vielleicht einfach gesagt, aber vielleicht auch einfach getan. Da ist dann ganz klar, dass das Kind auch mal mit auf der Probe ist. Ich glaube es ist wichtig auch mal zu akzeptieren, dass nicht jeder immer hundert Prozent geben kann.

HT: Das Hundertprozent-Ding ist ja vielleicht auch ein gesamtgesellschaftliches Problem. Mich strengt das auch total an, dass ich in diesen Projekten alles andere stehen und liegen lassen muss. Man weiß ja auch nie wo die 100 Prozent sind. Man ist ja ständig damit beschäftigt zu sagen: Ah nein, ich hab noch eine halbe Stunde Wachzeit, da kann ich doch jetzt schnell noch was lesen, was schreiben, was denken. Diese 100 Prozent sind außerdem eine total verschiebbare Variable, ich finde das ist schon auffällig in diesem Freien Theaterbetrieb, dass es da sehr biegbare Hundertprozent Grenzen gibt.

KB: Ja! Derjenige der gerade am meisten Kraft und Potenzial hat, sagt wo es lang geht. Der bestimmt wo die 100 Prozent sind.